Vier minderjährige Musiker beherrschen ihre Instrumente ansatzweise. Fast 10 000 Menschen schauen zu, vor allem sechs bis 14ährige und notwendigerweise deren Eltern. Seltsame Frisuren werden vorgeführt, gekreischt wird infernalisch. Man denkt an verruchte Manager, an "Bravo", an die Plattenfirmen-Buchhaltung und an den Untergang der abendländischen Rock 'n' Roll-Kultur. Hier tritt kein tanzendes und singendes Ensemble sorgsam ausgesuchter Mädchenphantasien auf, das sich mit Hinweisen auf Reifungsschwärmerei und pubertäre Pferdepflege wegerklären ließe. Heute werden Grundschüler mit Rock versorgt, wenn auch mit äußerst kindgemäßem. Offensichtlich tut das not.
Dieses Konzert beginnt am frühen Abend, wenn die grau gewordene Rockboheme normalerweise ihren Tag beginnt. Der 16jährige Bill Kaulitz kräht die gerade 13 Lieder und wirkt wie ein animiertes Manga-Männlein. Es gibt Videoschirme in Schwarzweiß, in Beatclub-Vintage-Optik sozusagen. Kaulitz reckt die Fingerchen zum Satansgruß, den schon die Kleinsten routiniert erwidern. Schlagzeuger mit freier Hühnerbrust, Gitarrenposen, der vor dreißig Jahren schon zum Ritual erstarrte Rockbetrieb. 90 Minuten, das ist Ideallänge, dann ist der Spuk vorüber. Und "Durch den Monsun", den ersten Hit vom letzten Sommer, müssen Tokio Hotel zweimal spielen, um die Zeit zu füllen.
Häufig ist vom Phänomen die Rede: Eine Schülerband verkauft in einem halben Jahr 400 000 Alben, 100 000 DVDs, 200 000 Eintrittskarten und stellt hinter dieser Halde den gesamten Deutschpop in den Schatten...
Daß die Tour unter dem Motto "Schrei!" steht, ist durchaus Programm. Gemessen werden 126 Dezibel aus hellen Kinderkehlen, 90 Dezibel erzeugt die Band. Erwachsene Männer tragen erstmals Stöpsel in den Ohren, was bei Motörhead nie nötig war. Malteser schleppen ihre ohnmächtigen Kinder fort. Es ist eine Tortur, so soll es sein, ein spätes Stahlbad für die Alten...
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