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Thema: 1. Mai / Tag der Arbeit

  1. #1

    55 Jahre alt
    aus دار الكفر
    1.274 Beiträge seit 09/2005

    1. Mai / Tag der Arbeit

    Anlässlich des ersten Mais sei hier ein Flugblatt der Bonner Gruppe "Never Again" dokumentiert:

    Nie wieder Arbeit!
    Der 1. Mai, oder: Land of the Dead


    Als arbeiterbewegter Linker hat man in diesem Land schon seit geraumer Zeit nichts mehr zu lachen. All die über die Jahre erkämpften und lieb gewonnenen rechtlichen, sozialen und materiellen Güter werden mit Verweis auf marktwirtschaftliche Sachzwänge wieder einkassiert. Der in der korporatistischen Nachkriegsrepublik regelrecht eingeschlafene Klassenkampf erscheint als wieder aufgenommen, nur will das überlieferte, leicht angestaubte Bild der Akteure nicht länger auf die Gegenwart zutreffen. Angesichts des objektiven Fehlens von zylindertragenden und zigarrerauchenden Erzkapitalisten in Zweispännern ist der Gegner auch gar nicht so leicht auszumachen; aber dass es einen Gegner gibt, gilt zumindest als gewiss, anders ist die verkehrte Welt des Kapitalismus nicht recht zu rationalisieren.

    Dass die gegenwärtige Gesellschaft in ihrer Substanz und Entwicklung nicht auf persönliche Entscheidungen einzelner übermächtiger Menschen zurückgeführt werden kann, sondern einer mittlerweile verallgemeinerten Eigenlogik, einer zwanghaften und selbstzweckhaften, somit subjektlosen Verwertung des Werts unterworfen ist, spielt nach wie vor in linksdeutschen Analysen kaum ein Rolle. Stattdessen werden konsequent Heuschrecken, Fremdarbeiter und andere nebulöse Unmenschen für all jenes verantwortlich gemacht, was mit dem Weltverständnis einer etatistischen Linken nicht erfasst werden kann: Dass die eigene Existenz und die ihr noch verbliebene Würde (= Arbeitskraft) nicht mehr gebraucht werden, da die allgemeine gesellschaftliche Reproduktion sich in Zeiten eines globalisierten Kapitalismus und der mikroindustriellen Revolution mehr und mehr jenseits proletarischer Wertarbeit vollzieht. Trotz stetig wachsender Produktionskapazitäten immer irrsinnigeren Reichtums gerät – zunehmend auch in den industrialisierten Zentren – die bloße Reproduktion des nackten Lebens in Gefahr. Und der ungeschminkte Anblick des Kapitals offenbart im Gegenzug auch die ungeschminkte Begriffslosigkeit (nicht nur) der deutschen Linken.

    Weil der Wandel der Welt nicht verarbeitet wird, müssen die altvorderen Begriffe herhalten, auch wenn diese eigentlich noch nie zugetroffen haben. So wird mal wieder der Staat als angeblich bewährter Krisenretter zum Hort der Emanzipation umgelogen. Er soll den „ungezügelten“, gar „raubtierhaften“ Kapitalismus zurücktransformieren in eine harmlose soziale Marktwirtschaft. Dem Sozialstaat, für Unzählige eine existenzielle, aber eben auch rein instrumentelle Errungenschaft, wird an seinem Sterbebett ein emanzipatorischer Gehalt zugeschrieben, den dieser nie inne hatte und haben konnte. Sein fortschrittlicher Wesenszug – konkreter Rechtsanspruch statt willkürlicher, paternalistischer Wohlfahrt – wird indes zum Wesen des Staates selbst verklärt. Aus einer verständlichen Angst und Abneigung heraus, sich der ideellen Gesamtzumutung des liberalisierten Marktes preiszugeben, verlangt der vereinzelte Einzelne nach Schutz durch den bevormundenden Zwangsapparat des Staats sowie nach Unterwerfung des Individuums unter die Gemeinschaft. Diese beiden Gedanken sind aufs engste mit einander verwoben.

    Denn im selben Maße, wie die Fetischisierung des Staates einer freiwilligen Versklavung gleicht, ist die Wiederentdeckung der Gemeinschaft ein „Eingang in die selbst verschuldete Unmündigkeit“ (Gerhard Scheit). Der Glaube an das höhere, nach innen verbindende Prinzip dient nicht zuletzt der gleichzeitigen Veräußerung von Verantwortlichkeit: Da Staat und Volk als Gutes, weil irgendwie Organisches und Sorgendes ausgemacht sind, kann die Schuld für die Krise nur hinter dem Horizont liegen; bei Hedgefonds und multinationalen Konzernen, bei Sozialschmarotzern und Ausländern, in den USA, bei den Juden und „denen da oben“. Die eigene Aufopferung wird stolz als Dienst am Ganzen verstanden, nicht als die blinde Reproduktion von elenden Verhältnissen, die sie ist.

    Wenn also am 1. Mai mit vereinten Kräften vor allem eines gefordert wird: „Arbeit, Arbeit, Arbeit!“, so veranschaulicht die Linke nicht mehr als ihre Rückwärtsgewandtheit und ihre regressiven Bedürfnisse. Arbeit wird noch im Augenblick ihrer objektiven Überwindung als ahistorische Naturnotwendigkeit, als Bedingung gesellschaftlichen Fortschritts und als unerlässliche Formierung des Charakters wahrgenommen. Deswegen macht man sich lieber keine Gedanken über die Etablierung einer emanzipatorischen Gesellschaftsformation jenseits von Staat und Kapital, von äußerem wie innerem Zwang in der sinnlos arbeitenden Gemeinschaft, oder wenigstens in einem Anflug von Reflektion, über die Vorzüge einer Loslösung von jener identitären und staatstragenden Großveranstaltung des „Tags der nationalen Arbeit“. Stattdessen werden schwülstige Appelle an die Politik bis zum Erbrechen wiederholt, dass eine andere Welt möglich sei; angesichts der Kategorien, von denen diese hohle Formulierung ausgeht – Nationalstaat, Sozialstaat, Vollbeschäftigung – erscheint eine andere Welt zwar weder möglich noch wünschenswert. Doch die Moral ist mit ihnen.

    Der 1. Mai ist der Feiertag einer Linken, die nichts mehr zu feiern hat. Diese Linke ist begrifflich tot, ein Zombie, der wie einbetoniert auf seinem verherrlichenden und verharmlosenden Arbeitsstandpunkt verharrt, gerne auch noch von Klassenkampf und „Scheißkapitalisten“ fabuliert und gleichzeitig sich dem klammheimlich geliebten Staate anzubiedern versucht, während er behutsam ins Museum verfrachtet wird.
    Geklaut: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/0...mbie-time.html

  2. Nach oben    #2

    aus .....| bye :/ |
    354 Beiträge seit 10/2005
    Wenn man einen text schreibt der die breite masse ansprechen soll, sollte der text auch für die zielgruppe passend verfasst werden.

  3. Nach oben    #3
    vip:oxy
    39 Jahre alt
    aus giebig kotzen
    3.208 Beiträge seit 04/2003
    steckt aber viel wahres im text... meiner meinung nach

  4. Nach oben    #4

    37 Jahre alt
    aus Mysteryland.
    2.120 Beiträge seit 11/2005
    hm find ich auch.

  5. Nach oben    #5

    40 Jahre alt
    aus spaß hau ich jetzt mal den kopp auf die tastatur: mhjnb
    521 Beiträge seit 04/2003
    ja, es steckt viel wahres im text. nur malt er alles viel zu düster, bzw. der verfasser hing auf den falschen demos zu viel rum. es gibt gegenimpulse mit inhalt in der linken, die einerseits kritik üben, die den verhältnissen entsprechend ist und darüberhinausauch perspektiven eröffnen, die jenseits vom klassischen kapitalismus-sozialismus bzw. staatl. protektionismus-oder-liberalismus-schema liegen.

    da wären zum beispiel die europaweit zum ersten mai stattfindenden euromayday-paraden, zu denen sich hunderttausende auf den straßen eingefunden haben. das wurde natürlich von den kommerziellen medien ignoriert. der spiegel berichtet zum beispiel lieber über die 600-800 "gewalttätigen randalierer" am ersten mai in berlin, aber erwähnt dabei nicht, dass nebenbei auch eine 6000 menschen große mayday-parade stattgefunden hat. in Hamburg gab es auch eine und in zig anderen europ. städten (der flyer war auch verständlicher und lustiger), okay der spiegel ist halt ein schmierenblatt und will was geiles zeigen, aber daran sieht man, dass es auch eine große zahl derer gibt, die nach völlig neuen lösungswegen suchen. und das war nur ein beispiel...da gibt es auch die landlosen-bewegungen in lateinamerika die zahlenmäßig in die millionen geht, die zapatisten in mexiko, das world-social-forum jedes jahr
    und auch die gesamte globalisierungskritische bewegung in industrieländern ist eigentlich eher von basisdemokratischen, anarchistischen oder graswurzelbewegungen bestimmt. also alles standpunkte, die nicht viel mit dem rückwärtsgewandten stalinisten/maoisten oder nazis und ihrer nationalistischen "kritik" gemeinsam haben. das die auseinandersetzung mittlerweile größere maßstäbe annimmt, welche rolle arbeit und vollbeschäftigung in zukunft spielen sollen, sieht man auch daran, dass die diskussion um grundeinkommen nicht mehr nur in diesem spektrum geführt wird, sondern auch von unternehmerseiten thematisiert wurde (natürlich in anderem kontext).

    aber so schlimm wie der text es darstellt ist es um die linke perspektivlosigkeit nicht (mehr) bestellt.

  6. Nach oben    #6

    55 Jahre alt
    aus دار الكفر
    1.274 Beiträge seit 09/2005
    Zitat Zitat von channel
    und auch die gesamte globalisierungskritische bewegung in industrieländern ist eigentlich eher von basisdemokratischen, anarchistischen oder graswurzelbewegungen bestimmt. also alles standpunkte, die nicht viel mit dem rückwärtsgewandten stalinisten/maoisten oder nazis und ihrer nationalistischen "kritik" gemeinsam haben. das die auseinandersetzung mittlerweile größere maßstäbe annimmt, welche rolle arbeit und vollbeschäftigung in zukunft spielen sollen, sieht man auch daran, dass die diskussion um grundeinkommen nicht mehr nur in diesem spektrum geführt wird, sondern auch von unternehmerseiten thematisiert wurde (natürlich in anderem kontext).
    Der Text richtet sich implizit natürlich auch gegen jene Globalisierungskritiker, welche sich auf den world-social-foren oder bei attac tummeln. Denen ist der Ruf nach einem starken, protektionistischen Staat nämlich nicht so fremd wie du es darstellst, sondern viel mehr ihr dringlichstes Anliegen (Tobin Steuer etc.). Ich würde sogar so weit gehen und die unreflektierte Bezugnahme auf die Kategorien kapitalistischer Vergesellschaftung zum Apriori der Globalisierungskritischen Bewegung zu erklären.

  7. Nach oben    #7

    37 Jahre alt
    337 Beiträge seit 09/2004
    Zitat Zitat von channel
    da wären zum beispiel die europaweit zum ersten mai stattfindenden euromayday-paraden, zu denen sich hunderttausende auf den straßen eingefunden haben. das wurde natürlich von den kommerziellen medien ignoriert. der spiegel berichtet zum beispiel lieber über die 600-800 "gewalttätigen randalierer" am ersten mai in berlin, aber erwähnt dabei nicht, dass nebenbei auch eine 6000 menschen große mayday-parade stattgefunden hat.
    Die Mayday-parade hatte aber Gewerkschafts-Bratwurst-Charackter und vertrat ganz sicher keine radikalen oder/und revolutionären politischen positionen.
    Hier in Berlin gab es davor ne gute disku-veranstaltung "Mayday-Reformation" bei der auch kritisiert wurde das radikale kritik bei solchen veranstaltungen durch straßenfeste ersetzt wird. So sah es dann auch aus, von den 6000 teilnehmern waren vieleicht groszügig geschätzt 1000 wirklich politisch. Weitere 1000 sahen so aus als wären sie direkt von der after-hour aus'm Berghain oder GoldenGate oder von der Beatstreet gekommen.

  8. Nach oben    #8

    37 Jahre alt
    aus on top - I think my mask of sanity is about to slip
    744 Beiträge seit 05/2002
    Zitat Zitat von vio
    Weitere 1000 sahen so aus als wären sie direkt von der after-hour aus'm Berghain oder GoldenGate oder von der Beatstreet gekommen.
    Oh nein, wie können sie nur. Die Schweine.


    Angesichts dessen, was sich hier im Land als Links begreift fällt es mir schwer ein verebben dieser Strömungen schade zu finden. Jeder, der glaubt mich "befreien" zu müssen überschreitet eine Grenze, das ist nicht akzeptabel. Haltet euch für noch so emanzipiert/progressiv/blablub, ihr habt nicht das Recht zu entscheiden wie andere leben sollen.

  9. Nach oben    #9

    40 Jahre alt
    aus spaß hau ich jetzt mal den kopp auf die tastatur: mhjnb
    521 Beiträge seit 04/2003
    offtopic: also ich weiss nicht, wie die in berlin war, aber nur weil eine parade eine andere form der außenwirkung erzielt, als eine demonstration und weil sie gezielt stilmittel des karnevalesken einsetzt, ist sie deswegen noch lange nicht unpolitisch. sowas wie die mayday stellt jedenfalls ein gutes bindeglied zwischen sozialrevolutionären ansätzen und der breiten masse dar. natürlich soll es nicht darum gehen, sich unpolitischen massen anzubiedern. aber wenn du inhalte den prekarisierten gruppen näher bringen willst, die für ihre lage keine perspektive gesucht und/oder gefunden haben, dann ist sie ein gutes mittel. die euromayday in hamburg war sehr politisch und mit konkreten forderungen verbunden,was man von vielen revolutionären 1.mai-macker-demos nicht behaupten kann. der unterschied liegt im konfrontativen und im kommunikativen ansatz, nicht in politisch/unpolitisch. wenn du das so einteilst, dann tuts mir leid, aber dann siehst du die sache zu undifferenziert.

    gewerkschaft-bratwurst-charakter ist wirklich witzlos als charakterisierung. in hamburg ist die gewerkschafterdemo an uns vorbeigezogen...da war totenstille und latscherei, von den unterschiedlichen inhalten muss ich dir wohl nicht wirklich erzählen, oder???.
    nur weil etwas als "parade" durchgeht, gleich die bezeichnung unpolitisch aufzudrücken ist doch reaktionär und da wurde sich auch nicht mit neuen aktionformen der letzten zehn jahre auseinandergesetzt (stichw. go.stop.act).

  10. Nach oben    #10
    vip:oxy Avatar von Overkill
    aus over:kill wird killy der scape:goat
    6.727 Beiträge seit 12/2001
    Danke
    2
    Zitat Zitat von denyo77
    Haltet euch für noch so emanzipiert/progressiv/blablub, ihr habt nicht das Recht zu entscheiden wie andere leben sollen.
    Oh. Mein. Gott. Du Rechter

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