Gottes sittliche Integrität steht in Zweifel. Der Monotheismus, heißt es, sei per se ein gewalttätiger Glaube. Hat das Abendland vor 2500 Jahren einen gefährlichen Irrweg eingeschlagen?
Gehegt wird dieser Verdacht vor allem von dem Ägyptologen Jan Assmann, der weltweit zu den einflussreichsten Vertretern seiner Zunft zählt und der nun gleichsam wie eine grimme Sphinx auf die Nach-
welt kommt. In mehreren Büchern - das letzte erschien Anfang des Monats** - behauptet er: Eingottglaube ist feindlich und unduldsam.
Brutale Bibelzitate, die seine Anklage unterfüttern, findet der Professor genug. Die aus Legenden geformte Vergangenheit der Israeliten besteht im Prinzip aus einer Abfolge von Massakern, Strafaktionen und Blutvergießen. Im Namen Jahwes werden Vertreibungen und die Zwangsscheidung von Mischehen durchgesetzt.
Vor allem Mose steht im Zwielicht. Der Gründervater, meint der Gelehrte, habe eine fatale Botschaft vom Sinai herabgebracht: "Er unterschied zwischen wahrer und falscher Religion." Das heißt: Nur sein Gott war gut - die anderen waren dagegen Tand, Dreck und machtloses Kroppzeug.
Damit, so Assmann, vollbrachte Mose zwar eine "revolutionäre Neuerung, die die Welt von Grund auf veränderte" - aber nicht unbedingt zum Guten. Vormals, im Polytheismus, hieß es: Leben und leben lassen. Jahwe dagegen war rachedurstig, ja rechthaberisch - eine Himmelsmacht, die nichts und niemanden mehr neben sich duldete.
Dadurch, so der Ägyptologe aus Konstanz, sei "eine neue Form von Hass" in die Welt gekommen, "der Hass auf Heiden, Ketzer, Götzendiener" (siehe Interview Seite 118).
So gesehen mutet der Tanz ums Goldene Kalb im Buch Exodus wie eine Schlüsselszene an. "Mose trat an das Lagertor und sagte: Wer für den Herrn ist, her zu mir." Der Anführer rast vor Wut, jeder Sünder soll sterben - und sei es der eigene "Bruder, Freund oder Nächste". Noch am selben Tag liegen 3000 Abtrünnige im Staub. "Die Entscheidung,
die Jahwe erzwingt, der Bund, den er anbietet, überbietet und bricht alle menschlichen Bindungen", meint Assmann.
[...]
Lange schien die Sachlage klar: Das "besondere religiöse Genie" der Juden, hieß es, habe den Gedanken vom unendlichen und bildlosen Gott erzeugt - und zwar vor allen anderen Völkern. Es galten in der Forschung folgende zeitliche Eckpunkte:
* Bereits um 1800 v. Chr. opferte der Erzvater Abraham dem Herrn.
* Im Jahr 1250 v. Chr. zog Mose aus Ägypten aus.
* 1000 v. Chr. schufen die biblischen Könige David und Salomo ein jüdisches Großreich.
Strahlend schön und mit Grenzen, die vom Euphrat bis zum Mittelmeer reichten, so soll der Staat ausgesehen haben, über den Salomo regierte. Kein Wort davon ist wahr: Von dem "bronzezeitlichen Konzept" haben die Theologen längst Abschied nehmen müssen.
Eine erdrückende Anzahl an Grabungsfunden beweist, dass die Heilige Schrift eine geschönte Geschichte Altisraels präsentiert. Erst etwa zwischen 500 und 400 v. Chr., so die bittere Einsicht, erfolgte die Hauptarbeit. Das Alte Testament sei ein "Sammelwerk, das in Hunderten von Jahren zu seiner Endgestalt herangewachsen ist", so der Theologe Manfred Weippert.
Federführend bei der Niederschrift waren die Jahwe-Priester vom großen Tempel in Jerusalem (zerstört 586 v. Chr., wiedererbaut 516 v. Chr.). In diesem düsteren Kultbau auf dem Zionberg (wo heute die Aksa-Moschee steht) liefen einst alle Fäden zusammen. Bärtige Priester mit Kleidern, an denen blaue Kordeln hingen, liefen in dem Gemäuer umher. Sie schlachteten Stiere. Bei einem der Riten benetzten sie ihre Ohrläppchen mit Widderblut.
Mit der Wahrheit nahmen es die bigotten Anhänger des Ewigen allerdings nicht so genau. Die Bibelmacher umflorten ihr Land. Sie betrieben eine "Retrojektion eigener Großmachtträume in die Vergangenheit", sagt der Heidelberger Religionsexperte Bernd-Jörg Diebner.
Erst die Archäologie, aber auch die halbwegs stichhaltigen biblischen "Bücher der Könige", die echte Annalen verarbeiten, geben eine Ahnung, was wirklich passierte. In Stenogrammform verlief die wahre Geschichte so:
Um 900 v. Chr. bildeten sich in Palästina zwei kleine Nationalstaaten. Im Norden gründete sich "Israel" mit etwa 50 000 Einwohnern - im Süden lag das weit dünner besiedelte "Juda" mit der Hauptstadt Jerusalem.
Die Bevölkerung betete noch viele Götzen an, darunter Baal, Moloch und den Göttervater El. Jahwe wurde anfangs nur auf dem Nordsinai als lokaler Wettergott verehrt. König Jerobeam (angeblich 926 bis 907 v. Chr.) ließ einen heiligen Stier aufstellen. Er war ein Sinnbild Jahwes.
Gegen diese primitive Form des Kults erhoben Eiferer das Wort: die "Jahwe-Allein Bewegung". Sie wollte mehr Abstraktion und Geistigkeit. Unverblümt griff sie
die Religionspolitik der Herrschenden an. Die "Könige und Minister sowie die Priester und Propheten der Staatsheiligtümer" (Weippert) standen unter Dauerfeuer.
Fassbar wird die Gruppe in den Propheten Hosea und Amos, die um 750 v. Chr. lebten. Zornig geißelten sie die Götzendienerei im Land.
Die biblischen Mahner gingen mit allen Tricks vor. Sie drohten mit Unheil, schmähten und fluchten. Der Prophet Micha (Wirkungszeit: 740 bis 705 v. Chr.) warf dem Volk vor, mit Abgöttern zu "huren". Sein Kollege Elija rühmte sich, am Ufer des Kischon 450 Baal-Priester erschlagen zu haben.
Als "fanatische Gesinnungsethiker" hat der Heidelberger Religionssoziologe Franz Maciejewski diese frühen Monomanen eingestuft. Andere sprechen von "Hornissen des Geistes". Doch erst eine Abfolge von militärischen Katastrophen brachte diese religiöse Minderheit an die Macht:
* 722 v. Chr. überrannten die Assyrer das kleine Land Israel.
* 587 v. Chr. verlor auch Juda unter dem Ansturm orientalischer Heere seine Freiheit.
Rund 20 000 Juden marschierten damals als Kriegsgefangene nach Babylon - Schluss mit nationaler Eigenständigkeit. Nun erst, fernab der Heimat und bedroht von Überfremdung, gewannen die biestigen Jahwe-Priester die Oberhand. Sie sammelten ihre Schäfchen unter der Fahne eines zum Allgott aufgestiegenen Trösters.
Dabei entstand eine Camouflage, eine Art Märchenbuch, das wie eine Zwiebel aus Hunderten von alten, immer wieder umformulierten Schriften und Überlieferungssträngen besteht. Die Bibel - ein Labyrinth.
All dies besagt: Die Offenbarung fand nicht statt. Die Geburt Gottes vollzog sich vielmehr als langer, blutiger und quälender Prozess, der sich etwa vom 9. bis zum 4. Jahrhundert hinzog.
Ihre religiöse Pionierstellung haben die Juden damit eingebüßt. Denn um 550 v. Chr. lebten auch der Perser Zarathustra, der Chinese Konfuzius und die ionischen Naturphilosophen. Auch sie gingen schon geistig aufs Ganze.
[...]
Die Priester in Jerusalem setzten ein Patriarchat ohnegleichen durch. Immer wieder hat die moderne Psychoanalyse darauf verwiesen, dass sich damals ein sakraler Männerbund inszenierte. Gott galt ihnen als "Vater", den sie ehrfürchtig als Adonaj ("Herr") anriefen. Dieses Wesen fordert Demut und "Gehorsam", vor allem von den Söhnen.
Frauen zählten dabei wenig. Die Forscher wissen inzwischen, dass Jahwe anfangs eine Gattin hatte, die Fruchtbarkeitsgöttin Aschera. Bis 586 v. Chr. stand ihr Kultbaum im Jerusalemer Tempel. Doch gegen dieses Abbild liefen die Propheten Sturm. In ihren Augen war es ein lästerlicher Götze heidnischer Geilheit.
"Du sollst dir keinen Holzpfahl als Ascherabild errichten", dröhnt es aus dem fünften Buch Mose, "das hasst der Herr."
Doch am Ende war auch diese letzte Partnerin des Herrgotts erledigt. Aus dem Babylonischen Exil kehrte er als Witwer zurück.
[...]
Aber auch zur Frage, wo der Monoglaube seine tiefste geschichtliche Wurzel hat, liegen neue Details vor. Die Forscher sind dabei, das verdrängte Vorspiel der Bibel zu enttarnen - in Ägypten. Die Spur führt mitten hinein in jene prächtigste Religionsmacht des Altertums, die Pyramiden errichtete, über tausend Götzen anflehte und sogar Krokodile mumifizierte.
Als Welt des Heils und der Reinheit wurde der Nilstaat in der Antike gepriesen. Die Griechen bestaunten dieses Wunderland. Nicht so die Juden: Aus ihrem Blickwinkel verzerrte sich der ägyptische Pantheon zu einem Reich der Finsternis. Es war die Ausgeburt des Aberglaubens, Symbol der Zauberei schlechthin.
"Ägyptens auffallendste Praxis, den Bildkult, geißelt die Bibel als furchtbarste Sünde", erklärt Assmann. "Es war der Inbegriff von Irrtum, Lüge."
Wie ein roter Faden zieht sich das Thema durchs Alte Testament. Mit einer Mischung aus Ekel und Bewunderung schauten die Hebräer auf das Hieroglyphenland, das Götzen diente, aber auch Mathematik, Sternenkunde und Unfallchirurgie betrieb.
Schon den Stammvater Abraham zieht es mit seiner Ziegenherde Richtung Pyramiden. Ihm folgt später Josef, der zum Minister des Pharao aufsteigt. 430 Jahre lang sind die Israeliten in diesem "Sklavenhaus" eingeschlossen. Sie werden geprügelt, verhöhnt.
Dann führt Mose das Volk in die Freiheit. Ins biblische Drama bricht das Wunderbare ein. Das Heil beginnt. Jahwe leitet - als Wolkensäule vorneweg - das Volk zum Sinai, wo er sich offenbart. Dann geht es weiter ins Gelobte Land.
[...]
Doch der Pyramidenstaat wirft nicht nur düstere Schatten in die Bibel. Die Archäologen, die zwischen Memphis und Theben graben, haben eine verblüffende Entdeckung
gemacht: Die Juden kupferten ab. Ihre Idee vom einen Gott stammt in Wahrheit aus - Ägypten.
Lesezeichen