Vor diesem weltgeschichtlichen Hin-tergrund nämlich entwickelten Propheten wie Amos in Samaria und Jesaja in Je-rusalem das Konzept des Gottes Israels als des Weltengottes und stellten gleich-zeitig die bisher ethnisch-national gebundene Religion Israels auf ein ethisches Fundament: Von jetzt an war nicht mehr die per Geburt gegebene Zugehörigkeit zum Volk Gottes Grundlage der Beziehung zwischen Gott und Mensch, son-dern jetzt war Kind Gottes, wer den Willen Gottes zum Maßstab des Handelns machte. Wellhausen konnte zur Benennung dieses Gotteskonzepts der Prophe-ten Israels auf die Bezeichnung „ethischer Monotheismus“ zurückgreifen. Dieser ethische Monotheismus der Propheten, der auf der freien sittlichen Entschei-dung des Einzelnen beruhte, verlor jedoch, so rekonstruiert Wellhausen, in der nachexilischen Zeit im jüdischen Volk immer mehr an Boden. Deshalb gaben ihm die Schriftgelehrten jener Jahrhunderte eine schützende Hülle in Form un-zähliger ritueller, kultischer und moralischer Einzelvorschriften. Allmählich je-doch verselbständigte sich diese Hülle, sie erstarrte und erstickte nahezu den prophetisch-ethischen Impuls, bis Jesus kam und die Verpuppung sprengte. Sei-ne jüdischen Gegner aber blieben weiter in ihr gefangen; das Judentum nach Je-sus ist im Grunde nichts weiter als eine Larve ohne Leben darin.
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