Welche Rolle spielt der Islam?
Es ist doch sehr auffällig, dass nahezu ausschließlich von islamischen oder
islamistischen Selbstmordattentaten die Rede ist. Liegt die Ursache tatsächlich im Islam? Oder liegt es nur am Sprachgebrauch unserer Medien,
dass die Attentate in Nordirland beispielsweise nicht als christlichfundamentalistische Anschläge diskutiert werden? Oder dass die ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien nicht unter dem Gesichtspunkt des christlich-orthodoxen Staatsterrorismus in unser Bewusstsein drangen?
Es stellt sich die Frage, in wie weit der Islam als solcher, oder auch
fehlerhafte Auslegungen des Islam als Ursache für Selbstmordattentate zu
sehen ist. Zahlreiche Terrororganisationen wie zum Beispiel die HAMAS oder
Al-Qaida berufen sich auf den Islam als Grundlage ihres Handelns, doch ist
das nach allgemeiner Ansicht innerhalb der islamischen Welt nicht
gerechtfertigt.
Umgang mit Suizid
Der Islam verbietet ebenso wie das Christentum und das Judentum den
Suizid. Im Koran selbst zwar nicht explizit auf die Selbsttötung Bezuggenommen, jedoch ist das allgemeine Tötungsverbot zu verallgemeinern. Alle drei Religionen sehen das Leben als ein Geschenk Gottes an, welches den Menschen gar nicht selbst gehört, sondern ihnen von Gott zur sorgsamen Verwahrung anvertraut ist. Bei Christen und Juden ist der Suizid lange Zeit von Strafmaßnahmen begleitet gewesen, was den Ort der Beerdigung und die Ausgestaltung der Trauerfeierlichkeiten betrifft. Jedoch wird heute aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen auf solche Strafen größtenteils verzichtet. Im Islam ist der Umgang mit den sterblichen Überresten eines Suizidanten ebenfalls umstritten, so herrscht bis heute keine Einigkeit darüber ob ein Imam das Totengebet für einen Suizidenten sprechen darf oder nicht. Eine Kirchenrechtliche Regelung dazu, vergleichbar dem Codex Iuris Canonici („Wer gegen sich selbst Hand anlegt, worauf der Tod folgt, - und zwar aus freiem Willen – beraubt sich des kirchlichen Begräbnisses.“ [Aus dem Codex 1983 gestrichen!!]) existiert im
Islam nicht.
Selbstmordattentäter oder Märtyrer?
In der Islamischen Welt ist nach wie vor die Diskussion im Gange, ob Selbstmordattentate zulässig sind und wie sie vom Islam ausgehend zu
beurteilen sind. Es gibt zwei Prinzipien, nach denen unterschieden wird,
einerseits sei es ehrenhaft als Märtyrer (Shahid) im Kampf gegen den Feind
zu sterben, andererseits verstößt der Attentäter gegen das islamische Verbot
sich selbst zu töten. Bei beiden Argumentationslinien wird die Legitimität
des eigentlichen Anschlags vorrausgesetzt. Als ausschlaggebend wird die
Absicht angesehen, die der Tat zugrunde liegt; wer sich also in den Kampf
stürzt um zu sterben ist kein Märtyrer.
Trotzdem herrscht große Uneinigkeit unter den islamischen Rechtsgelehrten,
da bei einem Selbstmordattentat der Kampf nicht eindeutig von der Todesabsicht zu trennen ist. Einige Gelehrte erklären die religiöse Unzulässigkeit der Selbstmordattentate, während andere versuchen sie mit
dem Kampf gegen Tyrannei und Unrecht zu rechtfertigen.
Der Dekan der theologischen Fakultät der Kairoer Azhar-Universität, der
höchsten Institution der Sunniten erklärt, ein Shahid sei ein Muslim,
welcher bei der Verteidigung seines Landes, seiner Familie oder seines
Besitztums sterbe.
Eine andere, mehrere Seiten umfassende Definition bietet das
umfangreichste arabisch Wörterbuch „Lissan al-Arab“. Sie beginnt mit der
grammatikalischen Grundform des Wortes, nämlich „shahida“ was soviel wie
„Zeuge einer Tat, eines Ereignisses sein“ bedeutet. Demnach ist der erste
Shahid Allah selbst, er hat alles gesehen und wird es am Tag der
Auferstehung bezeugen. Auch die Propheten tragen im Koran diesen
Ehrentitel. Erst gegen Ende des langen im 13. Jahrhundert verfassten
Paragraphen wir derjenige, „der um Allahs und der Religion willen getötet
wird“ als Shahid aufgeführt. Im Unterschied zu den übrigen Muslimen
sterbe der Shahid nur physisch, seine Seele aber lebe weiter und zwar in unmittelbarer Nähe zu Gott. Jedoch ist dieser Tod nicht absichtlich
herbeizuführen, da Allah Menschenopfer kategorisch ablehnt.
Bereits der Prophet Mohammed fürchtete sich vor den Eiferern, die mit
Gewalt zum Shahid werden wollten. In einer bekannten Überlieferung stellt
er den Dialog eines Verstorbenen mit Allah dar:
Toter: ‚Ich kämpfte für meinen Glauben, bis ich getötet wurde.’
Allah: ‚Lügner! Du kämpftest, damit die Leute dich bewundern. Engel,
bringt ihn ins Fegefeuer!'
Gesellschaftliche Hintergründe
Da das Phänomen der Selbstmordattentäter offensichtlich nicht aus dem
Islam selbst heraus begründet werden kann, der islamische Hintergrund
vieler Attentäter aber ein Faktum ist, liegt es nahe die Unterschiede der
muslimischen Gesellschaften im Gegensatz zu den christliche geprägten,
abendländischen Gesellschaften in Europa und den USA zu untersuchen.
Der Hauptunterschied ist die Gewichtung verschiedener Werte in den
jeweiligen Gesellschaften. Die beiden Werte, die den grundlegenden
Unterschied zwischen islamischen und abendländischen Gesellschaften
ausmachen sind die werte Freiheit und Gerechtigkeit. Freiheit ist vor
allem in den westlichen Gesellschaften zur wichtigsten Kategorie
aufgestiegen. Sie definiert den Handlungsspielraum des Einzelnen und
gesteht ihm so eine enorme Handlungsfreiheit zu, die es ihm ermöglicht aus
seiner eigenen Erkenntnisfähigkeit heraus (kognitiv) die normativen
Kategorien selbst zu bestimmen und zu gewichten. Diese Identitätsbildung
geht auf das kognitive Potenzial des Menschen zurück. Es stellt das Ich-
Bewusstsein des Individuums immer mehr in den Vordergrund.
Das streben nach Gerechtigkeit liegt schon in der menschlichen Natur als
soziales Lebewesen begründet. Die Gerechtigkeit ist eine normative
Kategorie, da sie die Regeln des sozialen Zusammenlebens der Individuen in
der Gesellschaft bestimmt. Gerechtigkeit wir durch das Nachahmen des
Verhaltens unseres sozialen Umfelds von frühester Kindheit an erlernt.
Beide Kategorien sind untrennbar miteinander verbunden, alle Kulturen
setzen sich deshalb immer mit beiden auseinander, jedoch gibt es in der
Gewichtung und der Verbindlichkeit erhebliche Unterschiede.
Im Laufe der Zeit gewann in den westlichen Kulturen das streben nach
Wissen und objektiver Wahrheit immer mehr an Bedeutung, weshalb auch
das Streben nach individueller Freiheit den Vorrang über die soziale
Einbindung in traditionelle Normen der „Gerechtigkeit“ gewonnen hat.
In den normativ dominierten Zivilisationen des Ostens ist Freiheit,
insbesondere die Individuelle Freiheit, immer noch einen Folge der
Gerechtigkeit und nur soweit geduldet, wie sie den sozialen Ausgleich und
die normative Ordnung nicht in Frage stellt.
Trotz liberaler Strömungen (Sufismus) und Perioden der Öffnung hat im
Islam keine ausgeprägte „Säkularisierung“ in Form einer Trennung von
Glauben und Politik stattgefunden, mit Ausnahme der Türkei. Das ist der
grund, weshalb sich islamisch geprägte Gesellschaften vom Vordringen der
westlichen Kultur, mit ihrem Sog aus Kommunikation, Freizügigkeit und
Mobilität, ganz besonders bedroht fühlen.
Der islamische Fundamentalismus ist die Reaktion eines Teils dieser
Gesellschaften auf den tiefen Riss, der zwischen normativem Fundament
und kognitiv-individuellem Lebensstil entstanden ist. Die daraus
resultierende Ablehnung moderner westlicher Wissenschaft und Technik
führt zum Zurückbleiben der islamischen Gesellschaften auf diesem Gebiet,
was wiederum ein Gefühl von Unterlegenheit und Kränkung hervorruft. Die
islamischen Gesellschaften werden durch die fortschreitende Globalisierung
wirtschaftlich immer weniger Konkurrenzfähig, was wiederum massenhafte
Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Diese Masse an jungen, arbeitslosen
Menschen, die keinerlei Aussicht auf Besserung ihrer gegenwärtigen
Situation haben bilden das Potential, aus dem fundamentalistische
Organisationen wie die Hamas ihre Mitglieder rekrutieren.
Ich bitte zu beachten, dass dies kein Versuch sein soll Armut oder
weltwirtschaftliche Ungerechtigkeit als Grund für die Mitgliedschaft in einer
fundamentalistischen Organisation darzustellen. Aber der Mechanismus ist der, dass der Mensch sich nach erlittenen Kränkungen, Verletzungen und
Niederlagen in aller Regel in den Schutz von sozialen Netzwerken und deren
normative Sicherheit zurückziehen. Es ist jedoch so, dass Menschen bzw.
ganze Gesellschaften, die keinerlei Entwicklungsmöglichkeiten und
Perspektiven mehr sehen, weil sie sowohl ökonomisch, also auch politisch
und sozial ausgegrenzt sind, ganz besonders anfällig für die
Gerechtigkeitsversprechen normativ dominierter, fundamentalistischer
Bewegungen sind. Jedoch kann man die widrigen Lebensumstände nicht als
Erklärung anführen weshalb ein Mensch Bereit sein sollte sein Leben als
„lebende Bombe“ zu beenden. Nicht einmal die Bereitschaft sich einer
radikalen Organisation anzuschließen beinhaltet schon die Bereitschaft und
vor allem die Fähigkeit als Selbstmordattentäter zu sterben.
Quellen:
www.ori.unizh.ch ; www-theol.kfunigraz.ac.at ;
www.liberale-juden.de ;
www.kirchegt.de ;
http://members.telering.at; Neue Züricher Zeitung 14.09.03; Psychologie Heute 01/2002
Die Internet-quellen wurden im Dezember 2003 das letzte mal auf aktualität überprüft, müsssen also nicht mehr stimmen
Lesezeichen