Der Papst ist kein Politiker. Soviel hat man gerade noch verstanden. Aber darf er sich erlauben, so zu handeln, wie es Jesus im Gleichnis vom verlorenen Sohn fordert? Darf er gar die Maxime „liebe deine Feinde“ umsetzen, um die Spirale von Ausgrenzung und Hass zu unterbrechen? Der Papst müsse doch Brücken bauen und auf „Andersgläubige zugehen“, sagen sie. Aber welche Brücken gebaut werden und welche „Andersgläubige“ die richtigen Andersgläubigen sind, dass bestimmen bitteschön die Oberpäpste in den Redaktionen.
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Der Geifer, mit dem sich in diesen Tagen Journalisten auf den Papst stürzen, erinnert an eine Meute ausgehungerter Wölfe. Und ausgehungert sind diese Leute in der Tat. Viere Jahre lang konnten sie es nicht ertragen, dass ein Joseph Ratzinger nicht in das Bild passt, dass sie von ihm gezeichnet hatten. Vier Jahre lang haben sie es totgeschwiegen, wenn er gegen Folter aufrief, den Turbokapitalismus geißelte, den Krieg im Irak und anderswo verurteilte, eine gerechte Verteilung der Güter forderte. Geschwiegen auch, wenn er in Wort und Tat den Dialog mit anderen christlichen Kirchen, den Muslimen, vor allem aber den „geliebten Brüdern“ jüdischen Glaubens vorantrieb.
Deutschland schweigt. Deutschland bleibt gleichgültig. Wohl keine andere Nation ist zu einer derartigen Ignoranz und Kaltherzigkeit gegenüber einem seiner größten Söhne fähig, dem ersten Deutschen seit fünfhundert Jahren, den die internationale katholische Gemeinschaft für geeignet hält, die größte Kirche der Welt über die Schwelle einer schwierigen Zeit zu führen.
Jetzt ist die Gelegenheit da, die alten Keulen zu schwingen. Jetzt wird der Stab gebrochen. Jetzt wird abgerechnet. Es gibt keine Munition, also muss man etwas zusammenrühren. Ist da nicht ein neuer Weihbischof irgendwo in Österreich? Es genügt, ihn als „ultrakonservativ“ zu bezeichnen, schon haben wir den Beleg für eine These. Ach, der Papst trägt gerne alte Hüte? Perfekt! Die Analyse: Reaktionärer Kurswechsel im Vatikan. Dass da vor wenigen Tagen in Würzburg von demselben Papst ein Weihbischof kreiert wurde, der als Pfarrer die Glocken seiner Kirche gegen neonazistische, antisemitische Aufmärsche hatte läuten lassen, passt, sorry, nicht ins Bild.
Es passt auch nicht ins Bild, daran zu erinnern, dass dieser Benedikt bei seinem ersten Deutschlandbesuch als erster Papst überhaupt eine jüdische Synagoge besuchte. Mit welch persönlicher Anteilnahme er in Auschwitz des Holocaust gedachte. Wie er nicht müde wurde, jegliche Form von Antisemitismus zu verurteilen. Oder dass, es liegt gerade ein paar Wochen zurück, unter diesem Papst erstmals ein Rabbiner eingeladen wurde, vor der Bischofssynode zu sprechen.
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, erklärt nun den Dialog mit der katholischen Kirche für beendet. Hat sie ein Wort bei Benedikt XVI. gefunden, in dem er nicht seinen Respekt, ja seine Liebe gegenüber den „älteren Brüdern“ im Judentum ausdrückte? Muss man wirklich daran erinnern, dass in den KZs auch zigtausende von Priestern, Ordensleuten, mutigen Christen umgekommen sind? Dass die beiden unmittelbaren Vorgänger in Ratzingers erster Seelsorgstelle in München als Kapläne von den Nazis ermordet wurden?
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Und vielleicht könnte man diese Krise sogar nutzen, um in den Medien zu überprüfen, inwieweit die Kirchenkampf-Kampagnen nicht schon den Charakter öffentlicher Hinrichtungen haben, wie man sie aus dem Iran kennt. Zumindest könnte man die Leser in Zukunft verschonen mit den immer gleichen greisen Trittbrettfahrern, die keine Gelegenheit verstreichen lassen, ihr pechschwarzes Alt-Öl ins Feuer zu gießen. Wer manipuliert, wer verschweigt, wer nur Vorurteile bedienen will, ist in seinen Analysen nicht mehr ernst zu nehmen; er sollte endlich Demut aufbringen, sich nicht weiterhin als Oberlehrer des Papstes zu gerieren.
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Die Vorwürfe, die heute gegen ihn laut werden, sind im Übrigen exakt dieselben, die zwei Jahrzehnte lang einem Karol Wojtyla entgegengeschleudert wurden. In den Augen der „Toleranten“ ist er erst ein guter Papst, seit er ein toter Papst ist. Zuvor galt er als: Hardliner, Förderer konservativer Strömungen, Spalter der Kirche. So gesehen wäre sein Nachfolger dann schon wieder auf gutem Wege.
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