Es scheint mir bezeichnend für die vorliegende Diskussi-äh ... Verzeihung ... Erörterung, dass du gerade diese beiden Möglichkeiten gibst. Aber noch einmal ausdrücklich: nein, ich erfreue mich nicht am Leid anderer, selbst wenn es nur gespielt ist. Und, nein, ich muss mir nicht perm-äh ... andauernd beweisen, dass ich intellig-äh ... klüger bin als so manch anderer. Um ehrlich zu sein: genau diese Abgrenzung, die du hier vornimmst, gibt es in meiner Gedankenwelt diesbezüglich gar nicht.
Diese Fernsehsendungen sind, gerade weil sie die scheinbaren Fehler aufweisen, die du genannt hast (übertriebene Dramatik, Laiendarsteller, wenig durchdachte Drehbücher), die beste Gesellschafts-Satire (das heißt - für alle, die sich am inhaltlosen Rumgelabere dieses Fremdwortes stoßen - dass diese Sendungen die Gesellschaft spöttisch überzeichnen, damit der Lächerlichkeit preisgeben und so die Zustände mit scharfem Witz anprangern) in der zeitgenössischen Fernsehlandschaft.
Da ist der junge Ibiza-Urlauber, der einem Mädchen, das er gerade am Strand kennengelernt hat, mit einem vollkommen selbstbezogenen "Liebes"-Begriff begegnet und eifersüchtig wird, weil sie sich nicht von ihm vereinnahmen lassen will. Er steht als Muster für all jene, die Liebe mit Geschlechtsverkehr verwechseln. Dass er die gesamte Zeit über auf seinem "Liebes-"Begriff verharrt und das Grundproblem nicht einmal ansatzweise erkennt, steht beispielhaft für eines der großen Grundprobleme der heutigen Gesellschaft. Durch seine Begriffsstutzigkeit wird sein gesamtes Handeln immerzu abwegiger, sinnloser und widersinniger. Und, schwupps, schon haben wir Komik.
Da ist die mittelalte Hausfrau, die im Einkaufszentrum von einem Fotografen angesprochen wird, der ihr verspricht, sie als Foto-Modell groß herauszubringen. Sie posiert also mit ihren viel zu vielen Kilos und Oma-Unterwäsche in einem heruntergekommenen Raum und gibt diesem Kerl dann hunderte von Euro. Zu Hause zeigt sie ihren Eltern (!) dann, wie die Modelle von "Victoria's Secret" ("Geheimnis der Siegerin") auf dem Laufsteg stolzieren. Dass sie von diesem Fotografen nur in Geldfragen gemolken wird, versteht sich von selbst. Dennoch steht das beispielhaft für die Träumerei der Gesellschaft, die lieber entdeckt werden will als auf einen festen, selbst erarbeiteten Lebenswandel setzt. Da diese Frau sich so auf ihren Traum ausrichtet und sogar mit ihrem Mann bricht, weil dieser die einen oder anderen 500 Euro lieber in Lohnenderes gesteckt hätte, was natürlich nur zeigt, dass der Mann seine Frau niemals unterstützt und sie eigentlich gar nicht liebt, verharrt auch sie in einer Selbstbezogenheit, die ihr gesamtes Handeln immer abwegiger, sinnloser und widersinniger werden lassen. Und, schwupps, schon haben wir Komik.
Dann wäre da noch, als drittes Beispiel, der zwölfjährige Draufgänger, der seine gleichaltrige Freundin geschwängert hat und sein Kind "Kevin-Pascal" nennen will, während seine Angebetete "Rocco" doch viel schöner findet. Er steht beispielhaft für die gnadenlos überzogene Sexualisierung (das heißt, für alle, denen das Fremdwort zu sehr nach inhaltlosem Rumgelabere riecht, die Betonung der Geschlechtlichkeit) der heutigen Gesellschaft: man will Geschlechtsverkehr haben, aber wenn es um die Verantwortung geht, da ist man dann doch lieber Kind und plant ein, dass die eigenen Eltern das gerade gezeugte Kind doch großzuziehen haben, weil man ja selbst noch dies und jenes tun muss und vor allem auch mal Zeit für sich braucht. Auch hier finden wir eine übersteigerte Selbstbezogenheit, die das Handeln abwegiger, sinnloser und widersinniger erscheinen lässt und damit, schwupps, Komik erzeugt.
Natürlich ist das jetzt weitaus weniger lustig als wenn man es sich direkt ansieht. Ein erklärter Witz verliert ja auch unweigerlich seine Lustigkeit, was natürlich damit zusammenhängt, dass Humor (also die Fähigkeit, über bestimmte Dinge zu lachen) sich der vernünftigen Betrachtung entzieht und eben durch das Abwegige hervorgerufen wird.
Um Missverständnisse zu vermeiden: auch ich sehe mich als Teil der Gesellschaft. Ich nehme für mich nicht in Anspruch, irgendein gesonderter, geschweige denn "besserer" Jemand zu sein, der abseits der großen dummen Masse steht. Und auch ich habe manche dieser hier überzeichnet dargestellten Eigenheiten an mir selbst schon feststellen können. Insofern kann ich vielleicht diesen Serien etwas abgewinnen, weil ich eine gesunde Prise Selbstironie (das heißt, dass man über sich selbst auch lachen kann) besitze und mich meiner eigenen Schwächen nicht schäme oder sie durch was auch immer überspielen muss.
Letztendlich sind die Figuren des deutschen Unterschichtenfernsehens die ursprünglich deutschen Gegenstücke zu Randy Marsh oder Peter Griffin.
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